“Vertrauen haben zu dem Bild. Und irgendwie auch loslassen.”
Die Künstlerin Anne Rosinski über ihre Kunst, ihr Leben und das KünstlerInnen-Dasein
Die bildende Künstlerin Anne Rosinski stellt ab dem 21.09.2021 unter dem Titel “Über die Zeichnung hinaus” in der Full Moon Gallery des Jugend- & Kulturprojekt e.V.s aus. Wir haben sie vor der Vernissage interviewt und einen spannenden Einblick in ihr Wirken als Künstlerin erhalten.
Anne Rosinskis Kunst ist ein Dialog. Ein Dialog zwischen Papier und Material, Licht und Schatten, konkreter und struktureller Auflösung. Für ihre Zeichnungen nutzt Rosinski Graphit. Das wirkt im ersten Moment manchmal düster: “Da gab’s schon immer eine Affinität zu dem Material. Vielleicht auch, weil’s so düster ist und auf der anderen Seite so silbrig. Es ist nicht nur schwarz, es ist nicht nur grau, es gibt ganz verschiedene Grautöne und die erzählen was; es ist ein sehr tiefes Material.” Das Papier saugt das Graphit förmlich auf, besonders wenn sie es in Anlösung verwendet. Umso bedeutsamer ist daher die Pflege des Papiers, des “Lichts”. Ihre Werke lassen sich während des Malprozesses nur schwer überarbeiten, die Arbeit mit Graphit lässt kaum Fehler zu. “Diesen Prozess muss ich auch aushalten. Sobald ich das Licht verliere, ist das Bild weg.”, erklärt die Künstlerin.
“Ich brauche nicht viele Farben, um zu erklären. Ich brauche verschiedene Grautöne und die erklären sich selbst.”
Auflockerung in ihren Bildern schafft die Verwendung einer dritten Komponente. Bis vor kurzem war dies noch die Farbe Gold: “Ich denke, Gold tut uns allen ein bisschen gut — wenn wir uns selbst vergolden. Momentan bin ich an der Offsetfarbe hängen geblieben, also an Rosé und Rot.” Anne Rosinski gibt durch die akzentuierte Beigabe von Farbe ihren Werken Nahbarkeit. Die Spannungen, welche besonders die Rottöne hervorrufen, sieht sie als Gratwanderung zwischen lasierend-sanft und brachial und gibt damit ein breites Spektrum an Assoziationen für die BetrachterInnen ihrer Werke frei. Einen ebensolchen Raum möchte Rosinski auch durch die Struktur ihrer Werke geben: “Ich versuche momentan mich auszudehnen von dieser ganz konkreten in eine strukturelle Auflösung, damit Entdeckungen möglich sind. Dass nicht nur vorgegeben ist, sondern dass man sich ausdehnen kann, sowohl in den Landschaften als auch in den Figuren.”
Anne Rosinski begann mit der figürlichen Malerei und der Collage. Im Laufe ihrer persönlichen Entwicklung wuchs jedoch ihr Interesse für die Landschaftsmalerei, welche sich nun in der Darstellung innerer Landschaften manifestiert. Sie ist fasziniert von den Innenwelten der Menschen und der Fragilität, welche sich sowohl in uns als auch in der Natur finden lässt. Die realen Auswirkungen dieser Innenwelten finden sich hingegen weiterhin in ihrer figürlichen Malerei wieder. Dort setzt sie derzeit einen Fokus auf die Umarmung, ein Thema, welches sie besonders seit der COVID-19-Pandemie beschäftigt: “weil [die Umarmung] so wenig da ist, ist sie gerade super präsent bei mir”. Ihre figürlichen Arbeiten entstehen daher meist mit Modellen. Ihr Anspruch, möglichst authentisch die Gefühlswelten der Umarmung durch ihr Werk zu übermitteln, gelingt ihr am besten, wenn sie direkt mit Menschen arbeiten kann. Auch ihre Inspiration für die Innenlandschaften bezieht sie direkt aus der Natur: gebürtig aus Stralsund stammend, ziehen sie die Landschaften ihrer Heimat immer wieder an. Manche Werke entstehen daher direkt vor Ort, andere nimmt sie als skizzenhafte Eindrücke mit zurück in ihr Dresdner Atelier.
“Gerade in der Kunst ist die Zeichnung oft als Skizze zu sehen, doch das ist bei mir absolut nicht so, und dafür brenne ich. Dass die Zeichnung an sich auch als Kunstwerk wahrgenommen wird.“
Ein wirkliches ‘Lieblingsbild’ hat Rosinski jedoch nicht: “Meistens ist es das aktuellste Bild, weil da geb ich alles rein, was ich vorher noch nicht konnte.” Wann ein Bild fertig ist, ist immer ein Dialog mit sich selbst, beschreibt sie. Es kommt auf den “Punkt des Fertigseins” an, auf das Gefühl des Loslassens. Dieser “Punkt des Fertigseins” begleitet sie schon seit ihrer Entscheidung Künstlerin zu werden.
Rosinski ist keine studierte Künstlerin. Auch wenn sie ihre Leidenschaft für die Kunst früh entdeckte, klappte der Einstieg in die Kunstwelt über den klassischen Weg einer Kunsthochschule nicht. Ihr Weg führte sie in die Ergotherapie, wo sie jedoch bald wieder den Drang spürte, kreativ arbeiten zu wollen. Nach einiger Zeit folgte die Ausbildung zur Grafikerin, danach arbeitete sie länger als Illustratorin in der Werbebranche. Bis sie für sich entschied, dass dies nicht ihr Weg ist. Sie besuchte freie Kunstschulen “und so habe ich mir die Module quasi selbst zusammengebaut, bis ich zu dem geworden bin, was ich jetzt bin. Und jetzt bin ich Künstlerin, auch wenn ich keinen Abschluss habe.” Mit diesem Standpunkt wachsen ihre Bilder, beschreibt Rosinski: “Kunst muss nicht vom Können kommen, aber von innen, vom Sich-so-fühlen”.
“Als KünstlerIn brauchst du echt eine gute seelische Stabilität.”
Erst vor Kurzem hat Rosinski eine Ausbildung zur Resilienztrainerin abgeschlossen. Die Corona-Pandemie hat ihr gezeigt, dass mentale Widerstandskraft in unserer Gesellschaft ein unterschätztes Thema ist. Als Künstlerin war sie sich dem Wert mentaler Stabilität schon lange bewusst: “Als Künstlerin brauchst du echt eine gute seelische Stabilität. Du wirst ausjuriert, beurteilt, es gibt kein Medium, was niedrigschwellig ist. Du musst dich bewerben und dann guckt eine Jury drüber. Du gehst auf den Kunstmarkt und wirst beurteilt und bewertet: nach dem Stand, nach deinem Faktor, nach dem Verkauf, auch nach der Qualität. Und dazwischen, zwischen diesen ganzen Rahmen kreativ zu bleiben, das geht nur, indem ich in mir stabil bin”. Rosinski fand diese Stabilität nicht nur durch ihr Wissen als Ergotherapeutin, sondern forschte zu Yoga- und Atemübungen. Der Schritt zur Resilienztrainierin war daher nur eine logische Schlussfolgerung.
Anne Rosinskis Weg zur Kunst verlief über Umwege, doch dabei hat sie nicht sich selbst aus den Augen verloren. Sie rät jenen, die sich für ein Leben in und mit der Kunst entscheiden, Netzwerke aufzubauen und Synergien zu finden. Doch ein Patentrezept für das KünstlerInnen-Dasein hat auch sie nicht: “Wenn es so das ist, was man gerne machen möchte, weil es einem Erfüllung gibt, dann auf jeden Fall dafür kämpfen und dann gucken, was sich ergibt. So vielleicht.”
Die bildende Künstlerin Anne Rosinski stellt ab dem 21.09.2021 unter dem Titel “Über die Zeichnung hinaus” in der Full Moon Gallery des Jugend- & Kulturprojekt e.V.s aus. Mit ihren Werken zeigt sie die Zeichnung an sich in ihrer Vielfalt von der experimentellen Auflösung bis hin zur konkreten Darstellung. Die ausgestellten Werke stellen dabei Rosinskis persönliche Assoziationen zum Vollmond wider und spiegeln dessen Zyklizität und Facettenreichtum.
Website: www.anne-rosinski.de
Instagram: www.instagram.com/annerosinski/
Autor Michael König